Ausgewählte Beschlüsse der Justizministerkonferenz im Bereich des Strafrechts
Am 16. und 17.06.2021 fand die Frühjahrskonferenz der Justizminister (JUMIKO) statt. Insbesondere im Bereich des Strafrechts wurden umfangreiche Beschlüsse und Absichtsbekundungen getroffen (u.a. zu Schutzlücken im Netzwerkdurchsuchungsgesetz, Ermittlungsmaßnahmen bei schweren Sexualstraftaten, Deepfakes, Videovernehmungen, geschlossenen Chatgruppen, gefälschten Gesundheitszeugnissen und dem strafrechtlichem Schutz der Pressefreiheit), die nachfolgend auszugweise dargestellt werden.
Schließung von Schutzlücken im Netzwerkdurchsuchungsgesetz
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) stellt einen zentralen Baustein im Kampf gegen strafbare Inhalte im Internet dar. Nach Auffassung der JUMIKO weist das Gesetz jedoch einige gravierende Schutzlücken auf, die möglichst zeitnah geschlossen werden sollen.
Insbesondere würden strafbare Inhalte über bislang vom NetzDG nicht erfasste Messenger-Dienste sowie über einschlägige Plattformen und Dienste ohne zwingende Nutzerregistrierung verbreitet, teils mit massiven Folgen für die Opfer. Zudem soll geprüft werden, ob der aktuelle Katalog vom NetzDG erfasster rechtswidriger Inhalte ausreichend ist.
Ausweitung technischer Ermittlungsmaßnahmen bei schweren Sexualstraftaten
Die JUMIKO sieht strafprozessuale Lücken, die bei schweren Sexualstraftaten deren Aufklärung oder die Aufenthaltsermittlung mutmaßlicher oder bereits abgeurteilter Täter erschweren oder verhindern.
Hierzu soll der Straftatenkataloge des § 100a Absatz 2 StPO (Telekommunikationsüberwachung) auf sämtliche Begehungsformen des § 177 StGB (sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung) erweitert werden. Gleiches soll für den Katalog des § 100b Absatz 2 StPO (Online-Durchsuchung) um die Taten nach § 177 Absatz 4 bis 8 StGB (schwere und besonders schwere Fälle) gelten.
Bekämpfung von Gefahren durch sog. Deepfakes
Deepfakes sind realistisch wirkende Medieninhalte, die durch Techniken künstlicher Intelligenz erzeugt oder verändert wurden.
Die JUMIKO sieht, dass das Strafrecht bereits über ein weitreichendes Instrumentarium zur Bekämpfung missbräuchlicher Einsatzformen von Deepfakes verfügt (z.B. bei der Verletzung von Persönlichkeitsrechten).
Zugleich befürchtet sie aber, dass Deepfakes im Einzelfall Gefährdungen für den öffentlichen Meinungsbildungsprozess schaffen können und es insoweit bislang an passenden Strafvorschriften fehlen könnte. Strafrechtlich relevante Deepfakes, die in sozialen Netzwerken gepostet werden, sollen daher künftig über den Mechanismus des NetzDG zeitnah aus dem Internet gelöscht werden können.
Videovernehmung von Opferzeuginnen und -zeugen
Die JUMIKO sieht diese Form der Vernehmung als wichtiges Instrument zur Wahrung der Interessen von besonders schutzbedürftigen Verletzten, insbesondere Kindern und Jugendlichen, aber auch zur Beweissicherung.
In Teilen der Praxis würden bereits Handlungsempfehlungen existieren, die den Einsatz einer richterlichen Videovernehmung in Ermittlungsverfahren wesentlich erleichtern. Die Erarbeitung eines zentralen Leitfadens soll perspektivisch die Akzeptanz stärken und die Verwendung konsequent weiter fördern.
Inkriminierte Inhalte in geschlossenen Chatgruppen
Die JUMIKO zeigt sich besorgt über die Verbreitung volksverhetzender Parolen und verfassungswidriger Kennzeichen wie auch anderer krimineller Inhalte in geschlossenen Chatgruppen von Messengerdiensten.
Sie hält es für erforderlich, der Nutzung geschlossener Chatgruppen als Foren für die Weiterleitung inkriminierter Inhalte mit den Mitteln des Strafrechts nachdrücklich entgegenzutreten.
Die strafrechtliche Einordnung gefälschter Gesundheitszeugnisse
Die JUMIKO hat vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie die strafrechtlichen Gesichtspunkte der (gewerbsmäßigen) Herstellung und des Gebrauchs von gefälschten und unrichtigen Impfdokumentationen, Testzertifikaten und sonstigen Gesundheitszeugnissen erörtert.
Vor diesem Hintergrund sieht sie die geltende Privilegierung der Fälschung von Gesundheitszeugnissen (§ 277 Var. 2 und 3 StGB) gegenüber der Fälschung anderer Urkunden (§ 267 StGB) durch einen weitaus geringeren Strafrahmen sowie durch das Fehlen einer Versuchsstrafbarkeit und Regelungen insbesondere für die gewerbs- und bandenmäßige Tatbegehung als nicht mehr zeitgemäß an. Sie hält insoweit auch die gegenwärtige Beschränkung der Strafbarkeit von schriftlichen Lügen betreffend Gesundheitszeugnisse (§§ 277 bis 279 StGB) für überprüfungswürdig.
Strafrechtlicher Schutz der Pressefreiheit
Die JUMIKO beobachtet, dass eine zunehmend aggressive Ablehnung der Medienberichterstattung in einer wachsenden Zahl körperlicher und verbaler Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten mündet. Dieser Entwicklung sei frühzeitig und mit Nachdruck entgegenzuwirken, so dass der strafrechtliche Schutz an dieser Stelle ggf. zu verbessern sei.
Auffällig ist, dass die JUMIKO auf sich verändernde Gefährdungslagen lediglich eine Antwort zu kennen scheint: Die Ausweitung der Eingriffe in private Kommunikation. Dabei stellt sich die Frage, ob die Anzahl und Schwere entsprechender Fälle tatsächlich das immer weiter fortschreitende Absenken der Anforderungsschwellen für solch gravierende Grundrechtseingriffe gegenüber der Allgemeinheit rechtfertigt. Die Ausweitung von Videovernehmungen ist hingegen – insbesondere aus Opferperspektive – positiv zu bewerten. Ob die Strafschärfungen im Bereich der Gesundheitszeugnisse sowie der Pressefreiheit tatsächlich Auswirkungen haben werden, bleibt abzuwarten. Häufig liegt hier eher ein Vollzugs- als ein Regelungsdefizit vor. Wir werden die Bestrebungen weiter beobachten, um unsere Verteidigungsstrategie antizipativ an den aktuellen Entwicklungen ausrichten zu können.
Quelle: Veröffentlichung der Beschlüsse der 92. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 16.06.2021 in Düsseldorf, abrufbar unter https://www.justiz.nrw.de/JM/jumiko/beschluesse/2021/Fruehjahrskonferenz_2021/index.php